Mittwoch, 3. Oktober 2007

Vom Tod der Networkerseele

"Endlich mal nach Hause kommen, ein Stück Heimat finden". Viele Network- erinnen und Networker sehnen sich danach. Gemeint ist damit "das Network", das Sicherheit und Zukunftsperspektive bietet, das die angestrebten Einkommen ermöglicht und gleichzeitig das wohlige Gefühl vermittelt, das Richtige zu tun, in einem guten Team angenommen und geborgen zu sein. Hier berichte ich von der Beerdigung dieses Traums.

Ich treffe mich nach eineinhalb Jahren mit Marcus (*) auf einer Baustelle in der Berliner City, nicht weit vom Brandenburger Tor entfernt. Eine warme, herzliche Begrüßung inklusive Umarmung folgt. Er lächelt mich etwas scheu und verlegen an, bietet mir einen Sitzplatz, will zunächst mal was über mich und meine Familie wissen, na halt "wie`s so geht"und überhaupt. Ich berichte ihm und frage dann nach seinen beiden kleinen Söhnen; alles bestens. Er zeigt mir stolz einige Bilder von ihnen!

Wir hatten vor drei Tagen telefoniert und ich hatte ihn gebeten, ihm mein neues Network vorstellen zu dürfen, ein Nutritions-Network mit Klasse-Produkten, mal was ganz anderes als aus unseren gemeinsamen N-M-Zeiten. Da war er "mein Manager" und Teamleader und brachte unser B2B-Network mit Kraft und Ausdauer in der Berliner Region voran. Bei allem Erfolg seinerzeit, es kam unterm Strich dabei nichts heraus. Die Startinvestitionen wurden vom Systemgeber ins Exorbitante erhöht, der persönliche Aufwand stieg enorm und die Jahres- Folgeprovisionen wurden definitiv nicht ausgezahlt. Das war`s dann irgendwann. Die ganze Direktion inklusive 23 Mann und Frauen "verschwand" über Nacht, auch mein Marcus.

Sie waren ihrem Direktor gefolgt ins nächste Network, begannen dort einen fulminanten Neustart (Hauptziel seines "Chefs": Schnellstqualifizierter Diamond Europas). Nun ja, auch dabei gab`s nach einigen Monaten zunehmend Probleme. Die vielen Plagiate auf dem Markt zu Dumpingpreisen machten das stramme weitere Wachstum unmöglich. Man tat alles, arbeitete an 7 Tagen die Woche, war kreativ und innovativ, man gründete spezielle Interessen-und Arbeitsgruppen (und wurde schamlos kopiert und an Insider-Wissen beraubt). Es half nichts, die Monatsschecks wurden immer kleiner. Sogar Schulden aufgrund der Qualifizierungszwänge hatte Marcus bei seinem "Chef" gemacht.
Irgendwann reichte es der Ehefrau von Marcus. Er solle lieber nach Stundenlohn oder Festgehalt arbeiten gehen, schließlich habe er ja keine zwei linken Hände.
Nun sitzen wir hier. "Bruno", sagt er wehmütig und energisch zugleich, "eigentlich wollte ich Dich nur mal wiedersehen. Dein Angebot kannst Du hier auf den Tisch legen. Ich werde es zu Hause in Ruhe anschauen. Im Grunde aber steht mir die ganze Networkerbranche bis hier. Ich habe damit abgeschlossen, auch mit "T.". Er macht dabei eine unzweideutige Geste Richtung Kopf und fügt hinzu, dass auch seine Freundschaft zu seinem Ex-Chef "T." beendet ist.

Ich nicke und sage: "Marcus, Du warst für mich der ehrlichste, fähigste und beste Teamleader. Mit Dir habe ich am liebsten zusammengearbeitet. Ich weiß doch, wie gerne Du Anzüge trägst, unter Menschen bist und Verhandlungen führst. Was ist geschehen?" - Seine Antwort:
"Die ganze Plackerei: Immer hofft man, dass sich die Arbeit fortpflanzen wird wie die Wellen im Wasser nach einem Steinwurf - dann die tägliche Nerverei vom Vormann bezüglich der Abschlüsse - am Ende wirst Du aus irgendwelchen Gründen doch wieder vorgeführt. Nie ist irgendwer wirklich echt zuständig, verantwortlich oder zu einer Entscheidung berechtigt. Alles muss nach Schablone gehen. Ich kann das ganze Gerede von Chancengleichkeit, Demokratie, Gerechtig- keit und Fairness, von Visionen, Führungsarbeit und Zielen einfach nicht mehr hören!"
Ich blicke jetzt in ein sehr entschlossenes Gesicht. Wir schweigen uns an. Ich verstehe ihn gut. Er hat jahrelang gekämpft, sich Tag und Nacht eingesetzt, Woche für Woche. In der Finanz- dienstleistungsbranche war er Ende der 90er schon mal ganz oben, dann wurde das Geschäft dort gerade wegen seiner guten Qualifikation aus Haftungsgründen zu risikoreich und er wechselte zu uns "Normalos" rüber.

Dann sagt er: "Bruno, ich bin jetzt durch zwei Networks hindurch "T." gefolgt (er meint damit seinen ehemaligen "Chef"). Unser Arbeitsumfeld war bestens organisiert, aber in beiden Fällen hat das System in wichtigen Details nicht gestimmt. Es waren elementare Fehler drin. Geduld und Zuversicht wie auch Ehrlichkeit waren absolute Unwörter. Flexibilität galt nur etwas, wenn es zum direkten Erfolg führte. Alles musste jetzt und sofort sein; Ergebnisse, Ergebnisse - eine Hektik, die die Menschen einfach abstößt. Ich bin nicht sicher, ob ich nicht über Dich wieder auf "T." stoße".
So steht`s, denke ich. Nase voll von "T`s" Führungsstil. Er will ihn auf keinen Fall mehr treffen.
Das kann ich ihm nicht garantieren. In der N-M-Branche kreuzen sich oft die Wege, "Top-Leader" wie "T." wechseln gerne mal in die neuesten Trends und angesagten Pre-Launches. Gerade hole ich Luft und will nochmal ansetzen, da sprudelt es förmlich aus ihm heraus:
"Außerdem habe ich meiner Frau fest versprechen müssen, dass ich nie wieder eine Arbeit im N-M beginnen werde. Ich würde Stress bekommen, das kannst Du Dir nicht vorstellen".
Oh Mann, denke ich. Gerade wir Networker erzählen den Menschen, dass sie bei uns mehr Freiheit und Selbstbestimmtheit finden werden, mehr Zeit für die Familie haben werden - und jetzt sagt Marcus so etwas. Frauen sind da lange nicht so träumerisch und gläubig wie wir Männer. Da werden glasklar Prioritäten gesetzt. Da muss Butter bei de`Fische. Ex-Chef "T." ist längst auch beim übernächsten Network gelandet und hört inzwischen auch sehr auf seine Frau. Aber das erzähle ich ihm jetzt lieber nicht.

Ich muss an die vielen Sprüche in unserer Branche bezüglich Einkommen und Karriere denken. Den Männern wird in Aussicht gestellt, den ganz großen Wurf zu landen (fünfstellige Monats- einkommen und mehr) und den Frauen ein schnell zu erreichendes Nebeneinkommen jenseits der 500 oder 1000 Euro monatlich. Dabei sind Networker auch ganz normale soziale Wesen, die ihrem privaten Umfeld ihr Tun sinnvoll erklären müssen. Da müssen alle Puzzlesteine richtig sitzen, wenn es was Vernünftiges werden soll.
Im Anhang füge ich hier eine aktuelle Einkommens-Aufstellung eines erfolgreichen und trotz- dem fairen Networks bei. Daran kann man in etwa ermessen, welcher Stress aufkommt, wenn der erreichte Status vom Systemgeber immer von Neuem in Frage gestellt wird (nicht in diesem Network!!).

Nun, Marcus und ich sind nicht von Neuem zusammen gekommen. Das ist auch gut so. Das von mir angebotene Network hat sich Monate später als Pappmache´-Kandidat erwiesen, trotz aller großen Ankündigungen. Es war eine schmerzhafte Einsicht und ich brauchte fast 2 Monate, um darüber mental hinweg zu kommen. Glücklicherweise pflege ich meine Kontakte in unterschied- liche Networks und so geht mir die Arbeit nicht aus. Allerdings, wäre ich an Marcus Stelle, würde ich tagsüber auch erstmal wieder fest arbeiten gehen. Zwei kleine Jungens zu Hause können einen ganz schön fordern. Die brauchen Zuverlässigkeit und Kontinuität.

Ihr Bruno Paaß

(*) - Namen aus redaktionellen Gründen geändert
Und hier eine Aufstellung eines fairen, erfolgreichen Networks auf der Basis der Jahresergebnisse von 2006 - die linke Y-Säule zeigt das monatliche Provisions-Einkommen der unterschiedlich qualifizierten Vertriebsmitglieder (Hierarchie) und deren Anteil an der Gesamtteilnehmerzahl- die obere X-Achse bezeichnet die monatlichen Höchst-und Niedrigstprovisionen und den Durchschnittswert. Die beiden Überschriften rechts außen bezeichnen die erwartete Qualifizierungszeit zur nächst höheren Hierarchiestufe in Monaten.
Anzumerken ist noch, dass die Vertriebler am Direktverkauf ihrer Produkte ca. 25-33 % an Handelsspanne zusätzlich verdienen

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